Der Computerfreak

Der Computerfreak
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   Hier will ich von der Spezies der Computerfreaks berichten, deren Sitten
sehr eigenartig sind (mit Erklaerung aller Fachausdruecke).

   Wer von den Computerfreaks kein eigenes System  laufen  hat,  wer  nicht
tief in der Hardware wuehlt, gilt bei ihnen wenig. (Hardware  ist  das,	was
beim Runterfallen klappert, Software das, wovon man logisch erklaeren  kann,
warum es nicht funktioniert. Nicht zu verwechseln mit dem Problem,  heraus-
zufinden, warum man es nicht zum  Funktionieren  bringt,  diese  Frage	ist
ungeloest.)

   Sie sammeln meist abgekupferte (ein Ausdruck, den ich hier  nicht  naeher
erlaeutern will) Software, aber den meisten bedeutet die  "hoehere  Software"
eigentlich wenig. Ihre Domaene sind die Bits und Bytes, die  Controller	und
schnellen RAMs. Viele wollen grosse Geschaefte machen, wozu sie sich persoen-
lich herausgefordert fuehlen. In der Regel sind sie  Einzelkaempfer,  wiewohl
sie auf eine gewisse geheimbuendlerische Art zusammenhalten. (Bits und Bytes
sind das, was zwischen Hard- und Software steht, Controller und RAMs unter-
scheiden sich nicht: schwarze Kaestchen mit einer  geradzahligen  Anzahl  in
Doppelreihe angeordneter spitzer Drahtfuesschen.)


SO LEBEN SIE

   Manchmal hegen sie puritanische  Neigungen,	zum  Beispiel  hinsichtlich
hoechstqualifizierter Disketten, deren Label (Etikett) sie, wenn  ueberhaupt,
nur zart in jungfraeulicher Bleistiftschrift entweihen. Ich  nehme  an,	Sie
wissen, was ein Bleistift ist. Disketten sind schwarze Scheiben, auf  denen
angeblich etwas in magnetischer Schrift geschrieben ist, was aber  unsicht-
bar und aus unbekannten Gruenden auch fuer den Computer oft  nicht  zu  lesen
ist. Wenn man sie knickt, auf Magnete oder in die Sonne legt, wird man ohne
Kommentar umgebracht.

   Die Beziehung des Computerfreaks zum  anderen  Geschlecht  wirft  einige
Fragen auf, vergleichbares gibt es hoechstens bei HiFi-Enthusiasten, die  um
groessere Boxen kaempfen und das Recht, sie nicht hinter dem Vorhang verstek-
ken zu muessen. Doch es ist anders, sie breiten	ungehindert  ihre  Platinen
und ICs in der Wohnung aus - weiss der Teufel, warum Eva das zulaesst. Verste-
hen tut sie nichts davon. Vielleicht aber gerade deshalb, denn	die  Frauen
klagen die Maenner wegen allerlei unvernuenftiger Dinge an, zum Beispiel weil
sie Kriege fuehren; verhindern tun sie jedoch nur das,  was  sie  verstehen.
Jedenfalls sind Leute, die Annoncen wie  "wegen  Heirat  Computersystem  zu
verkaufen" aufgeben keine ganzen Maenner.

   Wenn Computerfreaks zusammenkommen, dann nicht ohne	meterlange,  gefal-
tete Listings (das sind Papierfahnen, die von graesslich ratternden  Maschi-
nen, sog. Druckern oder einer elektrischen Schreibmaschine ausgespien  wer-
den, welche am Computer haengen. Das ist uebrigens der Grund, warum der  Rest
der Familie nachts nicht schlafen kann und diese dunklen Ringe unter den Au-
gen hat - abgesehen davon, dass Computerfreaks zwischen abends 23 und 2	Uhr
morgens auffallend viel Telefonanrufe  oder  Besuche  erhalten,  falls	sie
nicht um diese Zeit beim Stammtisch sind.) Sie haben auch grosse Kisten	bei
sich, in denen sie sich Buecher, Geraete oder vor allem irgendwelche Platinen
mitbringen. Sie lieben es ausserordentlich, sich etwas Gedrucktes mitzubrin-
gen. (Platinen, auch "gedruckte Schaltungen" genannt, sind halt Brettln mit
Leiterbahnen drauf, auf ihnen befinden sich die schon beschriebenen  Kaefer,
wobei vor allem wichtig ist, wie duenn und eng beieinander die  Leiterbahnen
(die kupfernen Striche) sind. Das nennt man Packungsdichte und es ist  sehr
wesentlich, weil der Computer daraus  besteht.)  Dabei	wechseln  innerhalb
eines Clubs oder Stammtischs die Standards - frueher fachsimpelte  man ueber
Cassetteninterfaces (da hoert man sehr schrilles  Zirpen,  aehnlich  wie bei
einer Grille, die gerade die Schallmauer durchbricht),	dann  ueber  kleine,
spaeter ueber grosse Diskettenlaufwerke. (Sie muessen sich die Masse 5 1/4 und
3 1/2 Zoll gut einpraegen, wenn Sie mitreden wollen.) In die Laufwerke schiebt
man die schwarzen Scheiben und sucht die Ursache dafuer, warum man sie nicht
mehr lesen kann.


DAS TREIBT SIE AN

   Typischerweise werden grosse Projekte ins Auge gefasst, die nie realisiert
werden (sowas duerfen Sie aber nicht laut sagen!),  dennoch  gibt  es  einen
eindeutigen und ueberraschenden Fortschritt, denn diese Projekte  bauen  ja
auf den frueheren Projekten auf. Man kann  das  nicht  verstehen,  wenn	man
nicht einsieht, dass in der  Computerei vor  allem  der  abstrakte  Entwurf
zaehlt. Die Philosophie der Computerfreaks ist in gewisser Weise  durch	den
Satz zu charakterisieren: Nichts ist langweiliger  als	ein  Programm,	das
endlich fehlerfrei laeuft. Das muss wohl auch auf die Hardware zutreffen, sie
haben ein sehr grosses Talent, diesen traurigen Zustand nie  eintreffen  zu
lassen, aber sie glauben, dass sie  permanent  mit  aller  Kraft  versuchen,
diese Situation zu ueberwinden.

   Sie unterhalten sich in einer Weise, dass  ein  gewoehnlicher Sterblicher
bei jedem zweiten Wort nicht weiss, wo er es nachschlagen koennte  -  es ist
auch nicht sicher, dass sie sich gegenseitig verstehen. Wenn drei  sich	un-
terhalten, kann mindestens einer nicht ganz folgen, weil er sich mit  einem
anderen Spezialgebiet befasst.

   Mit grosser Leidenschaft diskutieren sie ueber Programmiersprachen,  deren
Compiler sie sammeln und auswendig wissen, wie	schnell  diese	uebersetzen,
aber man kann davon ausgehen, dass sie keine  einzige  all  dieser  Sprachen
wirklich beherrschen (wenn doch,  handelt  es  sich  gewiss  um Basic  oder
Fortran), ausgenommen natuerlich die Assemblersprache ihres Prozessors - sie
gruppieren sich meistens um Prozessoren. (So viele Begriffe, also: Compiler
sind Programme, die Programmiersprachen in andere Programmiersprachen ueber-
setzen, was ungeheuer nuetzlich ist, vor allem weil man ja auch die Compiler
in irgendeiner Sprache schreiben muss - aber das ist vielleicht zu hoch. Mit
Assemblern (die auch uebersetzen) macht man Programme fuer den Menschen unle-
serlich, woraus die Computerfreaks eine  ausgedehnte  Freizeitbeschaeftigung
schoepfen. Sie versuchen vor allem, die Programme aus  der  Maschinensprache
wieder zurueckzuuebersetzen, um bequemer zu  sehen,  wie miserabel  sie	ge-
schrieben sind und sie anschliessend grundlegend zu verbessern (manchmal tun
sie das auch, ohne die Programme vorher rueckzuuebersetzen, sie  denken  also
direkt in der Logik der Maschine, was grosse  Askese  erfordert,  von  ihnen
aber lustvoll empfunden wird.) Prozessor  ist,	was  eigentlich  die  ganze
Arbeit tut, falls der Computer doch einmal funktionieren sollte.)


IHRE SPRACHEN

   Bei den Programmiersprachen gibt es Modestroeme,  die  ungefaehr  mit den
Jahreszeiten wechseln. Man bevorzugt  Esoterisches  wie  "C",  "Lisp"  bzw.
handfestes wie "Fortran" oder "Cobol", aber eigentlich  gibt  es  fuer  jede
Sprache (PL/1, Forth) jemanden, der alles Uebrige als Quatsch  abtut.  Uebri-
gens gibt es innerhalb einer Programmiersprache mehr Dialekte als  zwischen
Nuernberg und dem Kongo, daran kann man die kulturelle Vielfalt dieser Seite
ablesen. Bisweilen kommt es vor, dass sie ueber geheimnisvolle Dinge in home-
risches Gelaechter ausbrechen (nicht mitlachen, ist ein	Zeichen  mangelnder
Intelligenz), zum Beispiel ueber einige Assembler-statements oder die Schal-
tung eines Datenseparators - ihre Zukunft scheint eine neue Art  von  Komik
zu kreieren. (Hier muss ich passen - Witze kann man  nicht  erklaeren,  auch
keine Computerwitze. Man versteht sie halt oder eben  nicht!)  So  ist	ihr
Gebiet alles andere als trocken, es lebt, Systeme und Software,  die  nicht
laufen wollen, sind eine spannendere Herausforderung als ein Dschungelaben-
teuer. Es waere auch voellig verfehlt, sie als  Fachidioten  oder  einseitige
Tueftler anzusehen - ihre Interessen scheinen so vielfaeltig, ihre  Vorlieben
so unterschiedlich wie die Sitten verschiedener Voelker.


ORDNUNG: CHAOS MIT SYSTEM

   Haeufig haben sie auch sonst einen ausgefallen gehobenen  Geschmack,	was
Kunst, Musik und Literatur betrifft. Eine  Neigung  zum  Surrealismus  oder
Kubismus (vor allem bei den Gehaeusen) ist nicht selten, dagegen findet	man
kaum Gartenzwerge. Auffaellig ist die in hoeherem Sinne  bestehende Aehnlich-
keit ihrer Wohnungen und Zimmer. Diese sind niemals  unpersoenlich  wie bei
Technokraten oder Angestellten. Manche sammeln Antiquitaeten,  zum  Beispiel
Volksempfaenger oder Kernspeicher. Im Umfeld findet man Laserfreaks.  Natuer-
lich herrscht im engeren Feld die Technik vor.	Man  sieht  in	jedem  Fall
einen oder mehrere Bildschirme (evtl. auch alte Fernseher), diverse  Tasta-
turen, vorzugsweise stecken irgendwo  Platinen.  Je  nach  Temperament	ist
alles drahtige hinter Frontpanels verborgen oder es schlingen sich  lianen-
gleich Kabelpipelines durch das ganze Zimmer.  Die  Regale  an	den  Waenden
reichen grundsaetzlich nicht aus, um Ordner mit Disketten und Handbuecher  zu
fassen; auf dem Tisch und am Boden sieht man weitere Stapel, dazu  Platinen
(mit oder ohne Loetkolben, haeufig offenbar nur teilweise besetzt, Vorraete an
Disketten und Papier, Oszilloskope und, daran kann man	sie  eindeutig	von
Radiobastlern  und  Amateurfunkern  unterscheiden:  Drucker,   Irgendwelche
geoeffneten, demontierten oder  aber  im  Aufbau  (oder in beiden  Stadien
gleichzeitig) befindliche Geraete sind angezeigt. In extremen Faellen gleicht
das Gelaende einem Bundeswehruebungsplatz im Endstadium. Dazu ergeben mehrere
Monatschichten Zeitschriften, Buecher, Unterhosen, Schraubenzieher,  Bohrma-
schinen, Gehaeusebauteile, McDonald's-Tueten und Geraete nicht unter  1000 DM
einen Dschungel, in dem staendig etwas gesucht  wird  (vorzugsweise  banales
Werkzeug wie Schraubenzieher, dessen Verlust die  Arbeit  stundenlang  auf-
haelt).


DAS IST IHR ZIEL

   Es ist fuer den Unverstaendigen schwer zu begreifen, woran sie  eigentlich
arbeiten. Befragt man sie, so erhaelt man uebrigens detaillierte und  gedul-
dige Auskunft darueber, dass sie an  etwas  arbeiten,  was  die  unabdingbare
Voraussetzung fuer ein weiteres Vorhaben ist, das vielleicht seinerseits nur
Mittel zum Zweck ist. Nie findet man sie mit etwas Endgueltigem, es  scheint
die Essenz ihres Strebens zu sein, dass sich alles im Fluss  befindet.  Viel-
leicht hat ihr Hobby eigentlich keinen Zweck  und  ist	somit  das  edelste
ueberhaupt; sie arbeiten unermuedlich fuer etwas, das sie nie  erreichen, dem
sie nicht einmal nahekommen, ein Zustand endloser Glueckseligkeit!

   Ihr Wissen ist immens, sie  beherrschen  unzaehlige  Kniffe, deren  Sinn
einem Uneingeweihten verschlossen bleibt, vor allem aber aendern und verbes-
sern sie Betriebssysteme und Geraete.  (Betriebssysteme sind  das,  worueber
sich Laien am Computer am meisten aergern, weil es sie  hindert,  zu  errei-
chen, was sie eigentlich wollten, als sie sich an  den	Computer  setzten.)
Staendig kaempfen sie gegen die mangelnde Perfektion, die sie doch nie errei-
chen. Scheinbare Perfektion vertuscht den Umstand, dass alles in der  Compu-
terwelt unvollkommen ist. Was dem Bundeskanzler an seiner Stromrechnung als
boeser Auswuchs moderner Computerei erscheint, ist ja  nur  die Unfaehigkeit
beamteter Programmierer - aber leider versteht	die  Oeffentlichkeit  nicht,
dass der Computer nur Werkzeug ist, dem wir nur nicht gewachsen sind,  weil
wir nicht praezise genug denken koennen, um ihn anzuweisen.  Die Unzuverlaes-
sigkeit und Unerfreulichkeit von Systemen ist indes  schier  unfasslich.  Es
ist ueberhaupt kein Problem, in einer Zehntelsekunde durch einen unbedachten
Tastendruck das Werk von Stunden, Tagen, Wochen oder gar  Monaten  zunichte
zu machen. Es erstaunt, dass oft Computer und Programme fuer teures Geld ver-
kauft werden, die niemals vollstaendig funktionieren. Immer gibt  es  Spezi-
fikationen, die unerfuellt bleiben, die Anzahl nichterfuellter  Eigenschaften
ist groesser als das menschliche Vorstellungsvermoegen. Man  fragt  sich, was
geschaehe, waere all das vollkommen. Vielleicht darf dieser  Zustand  einfach
nicht eintreten, weil es dann nichts mehr zu gruebeln gaebe...
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